Es hilft da weiter nichts, sich vergangene Weltanschauungen wieder, sozusagen substantiell, aneignen, d. i. sich in eine dieser Anschauungsweisen fest hineinmachen zu wollen,

als z. B. katholisch zu werden, wie es in neueren Zeiten der Kunst wegen viele getan, um ihr Gemüt zu fixieren und die bestimmte Begrenzung ihrer Darstellung für sich selbst zu etwas Anundfürsichseiendem werden zu lassen.

Der Künstler darf nicht erst nötig haben, mit seinem Gemüt ins reine zu kommen und für sein eigenes Seelenheil sorgen zu müssen; seine große, freie Seele muß von Hause aus,

ehe er ans Produzieren geht, wissen und haben, woran sie ist, und ihrer sicher und in sich zuversichtlich sein; und besonders bedarf der heutige große Künstler der freien Ausbildung des Geistes, in welcher aller Aberglauben und Glauben, der auf bestimmte Formen der Anschauung und Darstellung beschränkt bleibt, zu bloßen Seiten und Momenten herabgesetzt ist, über welche der freie Geist sich zum Meister gemacht hat, indem er in ihnen keine an und für sich geheiligten Bedingungen seiner Exposition und Gestaltungsweise sieht, sondern ihnen nur Wert durch den höheren Gehalt zuschreibt, den er wiederschaffend als ihnen gemäß in sie hineinlegt.

 

In dieser Weise steht dem Künstler, dessen Talent und Genie für sich von der früheren Beschränkung auf eine bestimmte Kunstform befreit ist, jetzt jede Form wie jeder Stoff zu Dienst und zu Gebot.

 

γ) Fragen wir nun aber endlich nach dem Inhalt und den Formen, welche dieser Stufe ihrem allgemeinen Standpunkte nach als eigentümlich betrachtet werden können, so ergibt sich folgendes.

 

Die allgemeinen Kunstformen bezogen sich vornehmlich auf die absolute Wahrheit, welche die Kunst erreicht, und fanden den Ursprung ihrer Besonderung in der bestimmten Auffassung dessen, was dem Bewußtsein als das Absolute galt und in sich selbst das Prinzip seiner Gestaltungsart trug.

Wir haben in dieser Beziehung Naturbedeutungen als Inhalt, Naturdinge und menschliche Personifikationen als Form der Darstellung im Symbolischen hervortreten sehen; im Klassischen die geistige Individualität, aber als leibliche unerinnerte Gegenwart, über welcher die abstrakte Notwendigkeit des Schicksals stand; im Romantischen die Geistigkeit mit ihr selbst immanenter Subjektivität, für deren Innerlichkeit die äußere Gestalt zufällig blieb.

Auch in dieser letzten Kunstform war, wie in den früheren, das Göttliche an und für sich Gegenstand der Kunst.

Dies Göttliche nun aber hatte sich zu objektivieren, zu bestimmen und damit aus sich zum weltlichen Gehalt der Subjektivität fortzugehen.

Zunächst lag das Unendliche der Persönlichkeit in der Ehre, Liebe, Treue, dann in der besonderen Individualität, in dem bestimmten Charakter, der sich mit dem besonderen Gehalt des menschlichen Daseins zusammenschloß.

Das Verwachsensein mit solcher spezifischen Beschränktheit des Inhalts endlich hob der Humor,

der alle Bestimmtheit wankend zu machen und zu lösen wußte, wieder auf und ließ die Kunst dadurch über sich selbst hinausgehen.

In diesem Hinausgehen jedoch der Kunst über sich selber ist sie ebensosehr ein Zurückgehen des Menschen in sich selbst, ein Hinabsteigen in seine eigene Brust, wodurch die Kunst alle feste Beschränkung auf einen bestimmten Kreis des Inhalts und der Auffassung von sich abstreife und zu ihrem neuen Heiligen den Humanus macht, die Tiefen und Höhen des menschlichen Gemüts als solchen, das Allgemeinmenschliche in seinen  Freuden und Leiden, seinen Bestrebungen, Taten und Schicksalen.

Hiermit erhält der Künstler seinen Inhalt an ihm selber und ist der wirklich sich selbst bestimmende, die Unendlichkeit seiner Gefühle und Situationen betrachtende, ersinnende und ausdrückende Menschengeist, dem nichts mehr fremd ist, was in der Menschenbrust lebendig werden kann.

Es ist dies ein Gehalt, der nicht an und für sich künstlerisch bestimmt bleibt,

sondern die Bestimmtheit des Inhalts und des Ausgestaltens der willkürlichen Erfindung überläßt,

doch kein Interesse ausschließt, da die Kunst nicht mehr das nur darzustellen braucht, was auf einer ihrer bestimmten Stufen absolut zu Hause ist, sondern alles, worin der Mensch überhaupt heimisch zu sein die Befähigung hat.

 

Bei dieser Breite und Mannigfaltigkeit des Stoffs ist nun vor allem die Forderung zu stellen,

daß sich in Rücksicht auf die Behandlungsweise überall zugleich die heutige Gegenwärtigkeit des Geistes kundgebe.

Der moderne Künstler kann sich freilich alten und älteren zugesellen; Homeride, auch nur als letzter, zu sein ist schön, und auch Gebilde, welche die mittelalterliche Wendung der romantischen Kunst widerspiegeln, werden ihre Verdienste haben; aber ein anderes ist diese Allgemeingültigkeit, Tiefe und Eigentümlichkeit eines Stoffs und ein anderes seine Behandlungsweise.

Kein Homer, Sophokles usf., kein Dante, Ariost oder Shakespeare können in unserer Zeit hervortreten; was so groß besungen, was so frei ausgesprochen ist, ist ausgesprochen; es sind dies Stoffe, Weisen, sie anzuschauen und aufzufassen, die ausgesungen sind.

Nur die Gegenwart ist frisch, das andere fahl und fahler.

- Wir müssen den Franzosen zwar einen Vorwurf in Rücksicht auf das Historische und eine Kritik in betreff auf Schönheit daraus machen, griechische und römische Helden, Chinesen und Peruaner als französische Prinzen und Prinzessinnen dargestellt und ihnen die Motive und Ansichten der Zeit Ludwigs XIV. und XV. gegeben zu haben; doch wenn nur diese Motive und Ansichten in sich selbst tiefer und schöner gewesen wären, so würde dies Herüberziehen in die Gegenwart der Kunst nichts eben Schlimmes sein. Im Gegenteil, alle Stoffe, sie seien, aus welcher Zeit und Nation es sei, erhalten ihre Kunstwahrheit nur als diese lebendige Gegenwärtigkeit, in welcher sie die Brust des Menschen, den Reflex seiner füllt und Wahrheit uns zur Empfindung und Vorstellung bringt.

Das Erscheinen und Wirken des unvergänglich Menschlichen in seiner vielseitigsten Bedeutung und unendlichen Herumbildung ist es, was in diesem Gefäß menschlicher Situationen und Empfindungen den absoluten Gehalt unserer Kunst jetzt ausmachen kann.

http://textea.phil-splitter.com/html/ende_der_romantischen_kunstform.html

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