Aber er zaudert und zaudert.
“Schlimmer nun als in den antiken Stoffen steht es mit den christlichen. In den Heiligenlegenden, überhaupt auf dem Boden der christlichen Vorstellung ist die Erscheinung Christi, Marias, anderer Heiliger usf. zwar im allgemeinen Glauben vorhanden; nebenbei aber hat die Phantasie sich in verwandten Gebieten allerlei phantastische Wesen, als da sind Hexen, Gespenster, Geistererscheinungen und dergleichen mehr, gebildet, bei deren Auffassung, wenn sie als dem Menschen fremde Mächte erscheinen und der Mensch haltungslos in sich ihrem Zauber, Betruge und der Gewalt ihrer Vorspiegelungen gehorcht, die ganze Darstellung jedem Wahn und aller Willkür der Zufälligkeit kann preisgegeben werden. In dieser Beziehung besonders muß der Künstler darauf losgehen, daß dem Menschen die Freiheit und Selbständigkeit des Entschlusses bewahrt bleibt. Shakespeare hat hierfür die herrlichsten Vorbilder geliefert. Die Hexen im Macbeth z. B. erscheinen als äußere Gewalten, welche dem Macbeth sein Schicksal vorausbestimmen. Was sie jedoch verkünden, ist sein geheimster, eigenster Wunsch, der in dieser nur scheinbar äußeren Weise an ihn kommt und ihm offenbar wird. Schöner und tiefer noch ist die Erscheinung des Geistes im Hamlet nur als eine objektive Form von Hamlets innerer Ahnung gehandhabt. In dem dunklen Gefühl, daß etwas Ungeheures sich müsse ereignet haben, sehen wir Hamlet auftreten; nun erscheint ihm des Vaters Geist und enthüllt ihm alle Frevel. Auf diese mahnende Entdeckung erwarten wir, Hamlet werde die Tat sogleich kräftig bestrafen, und halten ihn vollständig zur Rache berechtigt. Aber er zaudert und zaudert. Man hat diese Untätigkeit dem Shakespeare zum Vorwurf gemacht und getadelt, daß das Stück teilweise nicht wolle vom Fleck rücken. Hamlet jedoch ist eine praktisch schwache Natur, ein schönes in sich gezogenes Gemüt, das aus dieser inneren Harmonie herauszugehen sich schwer entschließen kann, melancholisch, grübelnd, hypochondrisch und tiefsinnig, und deshalb nicht zu einer raschen Tat geneigt, wie denn auch Goethe an der Vorstellung festgehalten hat, daß Shakespeare habe schildern wollen: eine große Tat auf eine Seele gelegt, die der Tat nicht gewachsen ist. Und in diesem Sinne findet er das Stück durchweg gearbeitet. "Hier wird ein Eichbaum", sagt er, "in ein köstliches Gefäß gepflanzt, das nur liebliche Blumen in seinen Schoß hätte aufnehmen sollen; die Wurzeln dehnen aus, das Gefäß wird zernichtet." Shakespeare aber bringt in Beziehung auf die Erscheinung des Geistes noch einen weit tieferen Zug an. Hamlet zaudert, weil er dem Geist nicht blindlings glaubt.
The spirit that I have seen May be the devil: and the devil hath power To assume a pleasing shape; yea and perhaps Out of my weakness and my melancholy (As he is very potent with such spirits) Abuse me to damn me. I'll have grounds More relative than this: the play's the thing Wherein I'll catch the conscience of the king.
"Der Geist, Den ich gesehen, kann ein Teufel sein; Der Teufel hat Gewalt, sich zu verkleiden In lockende Gestalt; ja und vielleicht, Bei meiner Schwachheit und Melancholie (Da er sehr mächtig ist bei solchen Geistern), Täuscht er mich zum Verderben: ich will Grund, Der sichrer ist. Das Schauspiel sei die Schlinge, In die den König sein Gewissen bringe." (II, 1. Übers. Schlegel)
Hier sehen wir, daß die Erscheinung als solche nicht über Hamlet haltlos verfügt, sondern daß er zweifelt und durch eigene Veranstaltungen sich Gewißheit verschaffen will, ehe er zu handeln unternimmt....
Hegel-Kontext>>>
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