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Das Ende der Kunst

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Der Goldkäfer

ABC Philosophie:   ABC DEF GHIJ KLM NOPQ RST UVW XYZ    A-Z        manfred herok   2014

Der Goldkäfer

Edgar Allan Poe

 

Schau her! Schau her! Der Kerl dort tanzt wie toll!

Von der Tarantel gift'gem Biß getrieben.

All in the wrong.

Vor vielen Jahren unterhielt ich mit einem gewissen Herrn William Legrand engere Beziehungen. Er stammte aus einer alten Hugenottenfamilie
und war früher sehr vermögend gewesen, doch hatte eine Reihe von Unglücksfällen ihn zum bedürftigen Manne gemacht. Um all den Unannehmlichkeiten, die ein solch plötzliches Verarmen nach sich zieht,
zu entgehen, verließ er New Orleans, die Stadt seiner Vorfahren,
und schlug seinen Wohnsitz auf der Sullivans-Insel bei Charleston in Süd-Carolina auf.

Diese Insel ist ein sehr merkwürdiges Stück Land. Sie besteht fast nur aus Seesand und ist ungefähr drei Meilen lang und an keiner Stelle über eine Viertelmeile breit.
Vom Festland ist sie durch eine kaum wahrnehmbare Bucht getrennt,
die sich durch eine Wildnis von Ried und Sumpfboden hindurchwindet und zahllosen Marschhühnern ausgezeichnete Schlupfwinkel gewährt.
Die Vegetation ist, wie aus dem Vorhergesagten leicht verständlich,
höchst dürftig und verkrüppelt. Größere Bäume sieht man nirgendwo.
Zwar gedeiht hin und wieder am Westende der Insel,
in der Nähe der wenigen elenden Holzhäuser, die sich ein paar Leute erbaut haben, um im Sommer den Fiebern und dem Staub der Stadt zu entfliehen, der stachlige Palmetto. Der Boden der ganzen Insel mit Ausnahme jenes westlichen Teiles und des weißen harten Streifens um die Küste ist mit der wuchernden, süßduftenden Myrte bedeckt, die von den englischen Gärtnern so sehr geschätzt wird.
Das Myrtengestrüpp erreicht oft eine Höhe von fünfzehn bis zwanzig Fuß
und bildet ein fast undurchdringliches Dickicht, das die Luft mit schwerem Wohlgeruch belädt.

In dem innersten Schlupfwinkel eines solchen Dickichts am östlichen Ende des Eilandes hatte sich Legrand eine kleine Hütte erbaut, die er,
als ich durch Zufall mit ihm bekannt wurde, im Sommer und Winter bewohnte. Unsere Beziehungen vertieften sich bald zu einer Freundschaft, denn viele Züge im Wesen des Einsiedlers erweckten mein Interesse und erfüllten mich mit Hochachtung für ihn.
Ich fand in ihm einen gebildeten Mann von ganz ungewöhnlichen Geistesgaben; doch litt er an Misanthropie und war abwechselnd krankhaften Ausbrüchen von Begeisterung und Trübsinn ausgesetzt.
Er besaß eine große Menge Bücher, las jedoch nur sehr selten in ihnen.
Sein Hauptvergnügen bestand im Jagen und Fischen oder in ziellosem Umherstreifen durch das Myrtengestrüpp und am Ufer entlang, wo er Muscheln und Insekten für seine höchst reichhaltige Sammlung suchte.
Bei diesen Ausflügen begleitete ihn gewöhnlich ein alter Neger namens Jupiter, der, bevor die Familie verarmte, seine Freiheit erhalten hatte,
jedoch weder durch Drohungen noch durch Versprechen zu bewegen gewesen war, sein Recht, über jeden Schritt seines jungen ›Massa Will‹ zu wachen, aufzugeben.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Verwandten Legrands
die Hartnäckigkeit Jupiters noch bestärkten, damit sein Herr,
den sie für nicht ganz zurechnungsfähig hielten,
keinen Augenblick ohne Aufsicht und Schutz sei.

Der Winter ist auf der Sullivans-Insel gewöhnlich sehr milde,
und selbst im tiefen Herbst kommt es nur sehr selten vor, daß man heizen muß.
Mitte Oktober 18.. jedoch hatte man auf der Insel einen ungewöhnlich kalten Tag. Kurz vor Sonnenuntergang bahnte ich mir mühsam meinen Weg durch das Immergrün zu der Hütte meines Freundes,
den ich seit mehreren Wochen nicht besucht hatte.
- Ich wohnte zu jener Zeit in Charleston, also etwa neun Meilen von der Insel entfernt, und die Gelegenheiten, vom Festland auf die Insel und wieder zurückzukommen, waren weit weniger häufig als heutzutage.
Als ich an der Hütte angelangt war, klopfte ich wie gewöhnlich an,
und als ich keine Antwort bekam, holte ich den Schlüssel aus seinem mir bekannten Versteck und schloß auf. Im Kamin brannte ein lustiges Feuer.
Das war etwas Neues, aber durchaus nichts Unangenehmes.
Ich legte meinen Überrock ab, warf mich recht nahe bei den knisternden Holzblöcken in einen Armstuhl und erwartete die Ankunft meines Wirtes.

Es war eben dunkel geworden, als er mit seinem Diener zurückkam und mich herzlichst bewillkommnete. Jupiter grinste von einem Ohr zum anderen und beeilte sich, ein paar Marschhühner zum Abendessen zurecht zu machen. Legrand litt wieder unter einem Anfall - anders kann man die Sache wohl kaum benennen - von Begeisterung.
Er hatte ein ihm bisher unbekanntes zweischaliges Tier gefunden und außerdem mit Jupiters Hilfe einen Käfer gefangen, den er für noch absolut unentdeckt hielt und über den ich ihm am nächsten Morgen meine Meinung sagen sollte.

»Weshalb nicht schon heute abend?« fragte ich, während ich meine Hände über dem hellbrennenden Feuer rieb und das ganze Geschlecht der Käfer zum Teufel wünschte.

»Ach, wenn ich nur gewußt hätte, daß Sie hier sind!« sagte Legrand,
»aber es ist so lange her, daß ich Sie zum letzten Male gesehen habe,
und wie konnte ich denn ahnen, daß Sie mich gerade heute abend besuchen würden? Auf dem Heimweg begegnete mir Leutnant G. - und ich habe ihm, Tor, der ich bin, den Käfer geliehen.

Ich kann Ihnen meinen Fund also unmöglich vor morgen früh zeigen.
Bleiben Sie die Nacht über hier, ich werde ihn durch Jupiter sofort nach Sonnenaufgang holen lassen. Er ist das reizendste Ding auf der Erde.«

»Was? - Der Sonnenaufgang?«

»Unsinn! Der Käfer. Er ist von glänzend goldener Farbe - etwa so groß wie eine Walnuß - und hat an dem einen Ende des Rückens zwei gagatschwarze Flecken und an dem anderen einen einzelnen, etwas längeren.
Die Fühlhörner sind -«

»Hat kein Horn, Massa Will, hab es schon oft gesagt«, fiel ihm hier Jupiter in das Wort, »der Käfer ist Goldkäfer, alles, alles Gold, inwendig und alles,
Flügel auch Gold, hab noch nie so schweren Käfer getragen in mein Leben.«

»Nun, wie du willst, Jupiter«, erwiderte Legrand, wie mir schien in ernsterem Tone, als die Sache erforderte, »aber das ist doch kein Grund, um die Hühner anbrennen zu lassen? Die Farbe« - hier wandte er sich wieder an mich -
»ist allerdings dazu angetan, um Jupiter auf solche Gedanken zu bringen. Man hat gewiß nie einen prächtigeren Metallglanz als den seiner Flügel gesehen; doch ich vergesse, daß Sie darüber erst morgen zu urteilen vermögen. Einstweilen kann ich Ihnen nur eine Vorstellung von seiner Gestalt geben.« Mit diesen Worten setzte er sich an einen kleinen Tisch,
auf dem ich Tinte und Feder, jedoch kein Papier erblickte.
Er suchte in einer Schublade herum, fand jedoch auch dort keins.

»Das schadet nichts!« meinte er endlich. »Dies genügt auch.«
Dabei zog er einen Fetzen aus seiner Westentasche, den ich für schmutziges Pro-Patria-Papier hielt, und zeichnete mit der Feder flüchtig etwas darauf hin. Während er dies tat, blieb ich noch immer in meinem Armstuhl beim Feuer sitzen, denn mich fröstelte noch. Als die Zeichnung fertig war, reichte er sie mir, ohne von seinem Stuhl aufzustehen, herüber.
Ich nahm sie entgegen und hörte zu gleicher Zeit ein Knurren an der Tür,
dem bald ein heftiges Kratzen folgte. Jupiter öffnete, und ein großer Neufundländer, Legrands Eigentum, stürzte herein, sprang an mir empor und überhäufte mich mit Liebkosungen.
Ich hatte mich bei meinen früheren Besuchen sehr viel mit dem Tier beschäftigt, und es schien mich nun voller Freuden wiederzuerkennen.
Als sich seine frohen Sprünge etwas mäßigten, betrachtete ich das Papier und muß gestehen, daß ich aus dem, was mein Freund da gezeichnet hatte, nicht recht klug zu werden vermochte.

»Allerdings«, sagte ich nach ein paar Minuten, »das muß ein sonderbarer Käfer sein. Ich habe wahrhaftig nie etwas Ähnliches gesehen
- vielleicht Schädel oder Totenköpfe ausgenommen,
denn denen sieht meiner Ansicht nach Ihr Käfer ähnlicher als sonst einem Ding auf Gottes Welt.«

»Ein Totenkopf«, wiederholte Legrand. »
0 ja - allerdings - auf dem Papier gleicht er einem solchen ein klein wenig.
Die zwei oberen schwarzen Punkte könnten wohl die Augen sein und der längere unten der Mund - das Ganze ist ja auch oval.«

»Vielleicht ja«, sagte ich, »doch ich fürchte, Legrand, Sie sind kein großer Künstler. Wenn ich mir eine Vorstellung von dem Aussehen des Käfers machen soll, muß ich wohl warten, bis ich ihn selbst sehe.«

»Das weiß ich nicht!« entgegnete er ein wenig pikiert, »ich zeichne doch eigentlich erträglich, wenigstens sollte ich es tun,
denn ich habe gute Lehrer gehabt und schmeichle mir, kein direkter Dummkopf zu sein.«

»Aber lieber Kerl, dann wollen Sie wohl scherzen«, antwortete ich ihm.
»Das ist ein recht passabler, ja sogar ein ausgezeichneter Schädel, wenigstens nach den Anforderungen, die das große Publikum an dergleichen anatomische Abbildungen stellt
- und Ihr Käfer muß der sonderbarste Käfer von der Welt sein,
wenn er ihm ähnlich sieht. Wir können ja ein recht schönes, aufregendes Stück Aberglauben auf ihm aufbauen.
Nennen Sie den Käfer doch Scarabaeus caput hominis oder so ähnlich
- die Naturgeschichte ist ja reich an solchen Titeln.
Doch wo sind die Fühlhörner, von denen Sie eben sprachen?«

»Die Fühlhörner«, rief Legrand mit einer Wärme, die ich mir nicht zu erklären wußte, »die Fühlhörner müssen Sie doch gesehen haben.
Ich habe sie so deutlich hingezeichnet, wie sie an dem Tier selbst zu sehen sind, und ich glaube, das genügt.«
»Nun«, sagte ich, »vielleicht haben Sie diese hingezeichnet,
doch sehe ich sie nicht«, und reichte ihm das Papier ohne weitere Bemerkung zurück, da ich ihn nicht in üble Laune bringen wollte.
Doch war ich über die Wendung der Sache sehr verwundert; die Aufregung meines Freundes war mir absolut unerklärlich, und was die Zeichnung anbetraf, so waren keine Fühlhörner auf ihr zu sehen,
doch glich sie bis ins kleinste der bekannten Abbildung eines Totenkopfes.

 

 

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